Wulff und die Ungerechtigkeit

Nach ihm wurde das „Wulffen“ benannt …
– Oder wie weit geht Pressefreiheit und staatsanwaltliche Vorverurteilung?

Eines vorweg: Wulff war nie ein Sympathieträger! Er war nie der Präsident der Herzen. Andere Präsidenten vor ihm auch nicht, die waren allerdings smarter, traten weltmännischer und geschulter auf, wirkten selbstbewusst bis selbstherrlich und vermittelten jedenfalls den Eindruck von Kompetenz.

Den „elderly Statesman“ nahm man ihm genausowenig ab, wie er vergleichbar war mit dem Weizsäckerschen Geist und dessen edel-elegant wirkenden kühl- rational und rhetorisch geschulten Intellektualität.

Er war und blieb der Typ Realschullehrer, Passat Kombi, Reiheneckhaus.

Das wenig ambitionierte beschaulich bescheidene Einfamilienhaus in Hannover bestätigt diesen Eindruck, gleich mit welchem Zinssatz es finanziert worden war.

Was werfen wir Wulff also vor?

1. dass er deutlich unattraktiver als Guttenberg war

2. spießig und langweilig wirkte,

3. keine Brioni Anzüge trug,

4. immer irgendwie krank und blässlich aussah und dabei

5. den Eindruck vermittelte, auch im Farbfernsehen in Schwarzweiß ausgestrahlt zu sein.

Nein: er hat unbeholfen, linkisch, dumm, unsicher, trotzig, verspätet und in jeder Hinsicht falsch reagiert.

Aber reicht das aus? Reicht das wirklich aus, um einen Bundespräsidenten aus dem Amt zu jagen?

Nein. Es ging um Korruption, es ging um Vorteilsannahme!

Also doch?

Wenn – wie dies der Tagesspiegel online am 25.03.2013
in einem Artikel von Christoph Seils berichtet – tatsächlich 24 Staatsanwälte damit befasst waren, herauszufinden, was wirklich strafrechtlich relevant an seinem Verhalten war und am Ende 770 € übrig bleiben, die er angenommen hat, durch Zahlung eines Hotelzimmers – was dann?

Ist das Korruption, Vorteilsannahme?

Was, wenn ihm ein Kaugummi von einem, der sich Vorteile von ihm verspricht oder durch ihn erhält, angeboten wird? Darf er den annehmen? Einen Blumenstrauß? Wenn er zum Kaffee oder zum Mittagessen eingeladen wird?
Ist eine Nacht für 300 € in einem Fünfsternehotel bereits Vorteilsannahme oder müssen es zwei Nächte sein? Darf er einfach gar nichts annehmen? Ist die Grenze null?

Wer wäre bei einem Weizsäcker, wer bei einem Roman Herzog oder einem Johannes Rau auf die Idee gekommen, darüber nachzudenken, dass diese bestechlich seien? Selbst wenn diese eine Woche eingeladen worden wären…

Woran liegt es also, dass wir bei ihm diesen Gedanken haben und verfolgen?

Er ist uns nicht sympathisch, deshalb sind wir alle ungerecht!

Darf dieses Gefühl so weit gehen und dazu führen, diese Hetzjagd, diese Medienschelte, diese Vorverurteilung auszulösen?

Wir haben einen wenig charismatischen, langweiligen, spießigen Menschen, der sicherlich pünktlich, zuverlässig und ordentlich ist, zum Bundespräsidenten gemacht.

Die Suppe hat uns nicht geschmeckt. Als wir dann ein Haar in der Suppe fanden, haben wir die ganze Suppe ausgeschüttet!

Aber: so geht das nicht!

Dieses Verfahren muss vor einem Gericht stattfinden, es muss – wenn sich die Vorwürfe nicht beweisen lassen – zu einem Freispruch führen, zu einer Rehabilitation.

Die ganze unsägliche Diskussion über die Musik bei seiner Verabschiedung, die Berechtigung Bezüge zu erhalten und alle weiteren Vergünstigungen und sonstigen Privilegien, die Bundespräsidenten a.D. zustehen, muss eine Entsprechung in einem ordentlichen und fairen Gerichtsverfahren finden.

Wenn hier zu Unrecht vorverurteilt worden ist, was sehr naheliegend ist, dann muss eine öffentliche Rehabilitation in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgen.

Stellt sich dabei heraus, dass die Vorwürfe unberechtigt waren, hat sowohl die Presse als auch die Staatsanwaltschaft Hausaufgaben zu machen.

Seils spricht in seinem Artikel in diesem Zusammenhang von einem Geschehen, dass einer „politischen Hinrichtung“ gleichkommt. .

Er bezeichnet die Rolle der Medien als „fragwürdig“… erfreulich, die Selbstkritik der Medienvertreter.

In diesem Zusammenhang spricht er von einer Amtszeit, die den Eindruck vermittelt, dass es sich um einen „personellen und politischen Ausrutscher“handelte.

Nach seinen Aussagen beziehungsweise der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung ging es in dem Verfahren noch um 400-770 €.

Mag ja sein, dass aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Übernahme von Übernachtungskosten , die in diesem Rahmen liegen, nahe legen, dass Bestechlichkeit vorgelegen haben könnte. Aus der Sicht eines vernünftigen, alle Umstände in Betracht ziehenden Betrachters, ist es bei Beträgen in dieser Höhe, bei einem Bundespräsidenten, mit der konkreten Einnahmesituation absurd auf den Gedanken der Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme zu kommen.

Das lässt sich ganz leicht an einem einfachen Beispiel veranschaulichen: ein Kellner in einem Berliner Nobel Restaurant, wird bei einen Trinkgeld von 20, 30 oder 50 € nicht vor Demut in Verzückung geraten. In einem Schwellenland oder einem Entwicklungsland wird ein Trinkgeld in dieser Höhe (im schlimmsten Fall) einem Monatslohn entsprechen.
Es kommt also darauf an, wer die Summe bekommt.
Hier müssen die Gerichte nun Kriterien liefern, anhand derer Korruption oder Vorteilsannahme angenommen werden kann. Dass dies am Amt, am Einkommen und an der konkreten Situation festzumachen ist, ist offensichtlich. Feste Raster, Summen und Grenzen wird es kaum geben können.
Letztlich wird es eine Einzelfallentscheidung sein müssen, da nur die Beurteilung der Gesamtumstände eine Einschätzung ermöglicht.

Dass es bei diesem Verfahren (bzw. dem Vorschlag, die „Sache einzustellen“) vermutlich nur noch darum geht, der Staatsanwaltschaft einen geordneten Rückzug zu ermöglichen, ist naheliegend.

Farblosigkeit, sich mit falschen Freunden umgeben und die mangelnde Fähigkeit zu erkennen, an welcher Stelle Transparenz und Information geschuldet ist, macht noch keinen Kriminellen aus einem Menschen.

Stellt sich heraus, dass die Vorwürfe lediglich ein kritisierbares und zu hinterfragendes Verhalten belegen – allerdings keinen Straftatbestand erfüllen, dann ist eine öffentliche Entschuldigung fällig.

Der Gesellschaft mit ihren Presseorganen, ihren Staatsanwaltschaften und den Richtern, die Durchsuchungsbeschlüsse erlassen, bleibt aufzugeben, in Zukunft mehr Verantwortung zu übernehmen. Das soll kein leerer Satz sein: Dies ist eine Aufforderung an die Gesetzgebung, auch außerhalb der (fruchtlosen, fristlosen und formlosen) Dienstaufsichtsbeschwerde Instrumentarien, Institutionen oder Mechanismen zu schaffen, die mit Sanktionsmassnahmen zeigen, was „Verantwortung übernehmen“ bedeutet.

Man kann und darf nicht leichtfertig und oberflächlich Menschen, Karrieren und Lebensläufe zerstören, ohne sich der Verantwortung bewusst zu sein und gegebenenfalls die Konsequenzen zu tragen.

Sympathie und Antipathie, politische Orientierung und Parteizugehörigkeit haben an dieser Stelle nichts zu suchen. Hier geht es um Rechtsstaatlichkeit, Werte und um faire Verfahren, die nicht erst vor Gericht zu beginnen haben.

Für die Staatsanwaltschaft ist dies nicht peinlich sondern sträflich, für Christian Wulff, den ehemaligen Bundespräsidenten, ein Desaster. Menschlich empfinde ich Empathie und bedaure seine Situation.

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